News

22. November 2022

Das Künstler-Booking ist kein Wunschkonzert

Interview mit «Stars in Town»-Festivalleiter Adrian Brugger

Wann beginnt Stars in Town mit dem Booking der Künstler?

Der Prozess beginnt rund 18 Monate vor dem entsprechenden Festival. Wir definieren unsere Strategie und Ziele. Das Booking ist die grosse Herausforderung und es ist definitiv kein Wunschkonzert. Wir starten immer mit unserer Wunschliste, und die fängt mit Lenny Kravitz an, geht über Sting zu Zucchero, dann zu all diesen grossen deutschen Bands wie Grönemeyer, Seeed u.a.. Die Toten Hosen stehen ganz zuoberst. Auch wollen wir seit Jahren einen Italiener bringen. Wir hatten die Zusage von Eros Ramazotti fürs Stars in Town 2020, leider ist er wieder abgesprungen. Wir klären die Verfügbarkeiten (plant der Act eine Festivaltour usw.) und versuchen erste Gagenhöhen zu definieren. Oft können wir mit der Gagenerwartungen seiten der int. Managements nicht mithalten. Schaffhausen ist nicht der Nabel der Welt – für Acts aus USA oder auch bspw. Italien liegt unser Festival auch terminlich ungünstig.  Danach werden die ersten Offerten platziert. Am Anfang ist man immer zuversichtlich und euphorisch und mit der Zeit kehrt der Realismus ein. Die positive Entwicklung von Stars in Town zeigt aber auch, dass wir mit unseren beschränkten Mitteln ein vielseitiges Festivalprogramm gestalten können, welche Massen bewegen kann. Immerhin durften wir im 2022 rund 60’000 Besucher aus nah und fern mitten in der Schaffhauser Altstadt begrüssen.

Lewis Capaldi während seinem Auftritt am Stars in Town 2019

Wie geht ihr konkret vor bzw. wie geht der Bookingprozess von statten?

Die Veranstalter geben ihre Offerten ein und die Künstleragenturen sammeln diese. Die platzierte Offerte ist verbindlich und kann erst nach Ablauf einer definierten Frist zurückgezogen werden d. h. man kann auf einzelne Tage nicht mehrere Offerten parallel setzen, sondern muss das Resultat einer Offerte abwarten. Dies kann mehrere Wochen/Monate dauern. Auf der anderen Seite sammeln die Künstleragenturen die eintreffenden Offerten und versuchen einen Tourplan zu entwickeln. Es ist naheliegend, dass bei den Künstlermanagements vor allem die höchsten Angebote sowie die relevantesten Standorte/Locations 1. Priorität haben. So kommt eine Absage nach der anderen, wie Schläge aufs Genick, und du arbeitest dich auf deiner Wunschliste immer weiter nach unten. Für diese Arbeit benötigt man Risikobereitschaft, Ausdauer, Netzwerk und ein starkes Nervenkostüm. Je näher das Festival rückt, desto grösser wird der Druck und die schlaflosen Nächte nehmen zu. Stars in Town prüft pro Jahr über 100 verschiedene Künstler. Mit Christof Huber (u. a. Openair St. Gallen, Gadget Entertainment AG) verfügt Stars in Town über einen sehr erfahrenen und gut vernetzten Booker. Zudem arbeiten wir eng mit anderen Festival zusammen, welches im selben Zeitraum stattfindet. Ein Festival-Booking ist kein Wunschkonzert, sondern ein knallhartes Business in einem hartumkämpften, internationalen Haifischbecken. Der Markt ist sehr undurchsichtig und es wimmelt von Agenten, Subagenten, Vermittlern, welche alle am Künstlerhonorar partizipieren wollen. Eine Vermittlung mit ein paar wenigen Telefonanrufen bzw. Emails kann dann gut 10 -15% der Künstlergage «kosten». Diese Strukturen verteuern dieses Business enorm. Entertainment-Konzerne wie Live Nation oder Eventim verfügen mit Künstlermanagement, Vermarktung, Ticketing und Locations über die ganzen Wertschöpfungsketten und dominieren immer stärker den Markt.

Ein Festival-Booking ist kein Wunschkonzert, sondern ein knallhartes Business in einem hartumkämpften, internationalen Markt

Adrian Brugger, Festivalleiter Stars in Town

Kannst du uns etwas zu den Gagenforderungen der Künstler verraten?

Die Künstler haben keine Preisschilder d. h. der Markt definiert die Gage. Je höher die Nachfrage, desto höher der Preis. Stars in Town bietet für einzelne Headliner Gagen im Bereich eines halben Einfamilienhauses. Die Honorare für grosse Stadion-Acts liegen im Millionenbereich. Stars in Town steht nicht alleine mit den rund 700 Festivals in der Schweiz in Konkurrenz, sondern ist mit einem internationalen Markt konfrontiert. Grosse internationale Festivals oder die grossen internationalen Zentren wie London, Paris, New York oder Tokyo haben ein viel grösseres Potential im Bereich Finanzkraft und Besuchermenge. Hinzu kommt, dass frühere Schwellenländer im Süden und Osten von Europa auch immer mehr im Live Entertainment-Markt mitmischen und mit hohen Besucherkapazitäten viel höhere Gagen bezahlen können. Uns ist es wichtig, dass wir faire Eintrittspreise anbieten können und so eine Veranstaltung für jedermann sind. Unsere Platzgrösse definiert die Zuschauerkapazität. Dies wiederum definiert unser Gagenbudget, welches nicht beliebig erhöht werden kann. Es ist u. a. die grosse Kunst das Künstlerpotential frühzeitig zu erkennen und diese Acts vor dem ganz grossen Durchbruch zu buchen bzw. bevor die Gagen durch die Decke schiessen. Mit Mark Forster oder Lewis Capaldi ist uns das perfekt gelungen. Eine Vielzahl von Stars liegen klar ausserhalb unseren Möglichkeiten und nur der Zufall (das passende Routing und eine vorteilhafte Gage) oder viel Glück ermöglicht es uns, dass diese in Schaffhausen auftreten (bspw. Bryan Adams im 2017).

Um Künstler wie Bryan Adams auf den Herrenacker zu bringen, gehört auch Glück dazu.

Wie gross ist der Künstlermarkt und weshalb wiederholt Stars in Town Künstler?

Der Künstlermarkt in der Populärmusik ist gross, jedoch ist der weltweite Markt an zugkräftigen Namen für kommerzielle Festivals limitiert. Grundsätzlich versuchen wir alle Jahre neue Künstler in Schaffhausen zu begrüssen. Wenn wir einen Künstler wiederholt verpflichten, dann weil dieser stark gefragt ist, neue Musik hat oder die bestmögliche Alternative ist. Schweizer Acts sind sehr beliebt und gleichzeitig gibt es nur eine kleine Anzahl Acts, welche Tausende mobilisieren und «headlinen» können. Deshalb spielen Patent Ochsner, Hecht, Lo&Leduc, Bligg und Co. alle 2 – 3 Jahre an den gleichen Festivals. So lange die Besucher Freude haben, ist daran nichts auszusetzen. Stars in Town versucht mit den vorhandenen Optionen jährlich das bestmögliche Line up zusammen zustellen. Dies soll möglichst vielseitig sein und verschiedene Musikgenre der Populärmusik abdecken (Rock, Pop, Urban, Deutsch, SingerSongwriter, CH-Musik usw.) oder spezifische Communities ansprechen. Das Markt-Potential variiert von Jahr zu Jahr und ist ein bisschen wie ein Wellengang zu verstehen. Mit Nightwish haben wir uns im 2018 sogar erfolgreich im Metal-Genre versucht.

Welches sind die aktuellen Herausforderungen im Booking für Stars in Town?

Die Herausforderungen sind sehr vielschichtig. Steigende Gagen: Durch die hohe Dichte an Livemusik-Events steigen die Gagen laufend. Kleines Beispiel: Lewis Capaldi war im 2019 bei uns Opener. Heute ist er eine grosse Nummer in einem globalen Markt und erhält Gagen, welche 10x höher sind. Hohe Produktionskosten: Infolge Pandemie und Krieg steigen die Kosten auch in unserem Business. Zudem fehlt es an Fachkräften und Material. Zu viele Events/fehlende Exklusivitäten: Sämtliche kommerziellen Acts werden in den unzähligen Hallen bereits vor dem Festivalsommer rauf und runter gespielt. Generell wird der Entertainment Markt von Tickets überschwemmt und viele Veranstalter kämpfen mit roten Zahlen und grossen Risiken. Erwartungshaltung: Unsere aber auch die Haltung unseres Publikums steigt stetig. Konkurrenz: Finanzkräftige Festivals haben die Möglichkeit hohe Gagen zu zahlen und andere Festivals auszuschliessen. Stringenz: Stars in Town ist ein Festival, welches einzelne Tage veranstaltet und Besucher zwischen einzelnen Abenden auswählen können. Konventionelle Festivals können Acts frei zusammenmischen. Stars in Town muss jeden einzelnen Abend auf ein Musikgenre und eine spezifische Zielgruppe ausrichten. Dies ist eine zusätzliche Herausforderung im Booking. Verfügbarkeit: Stars in Town findet in einem Zeitfenster statt, in welchen US-Bands und italienische Künstler infolge Ferienzeit meist nicht touren. Seitens Medien und spezifischen Organisationen werden mehr weibliche Acts gefordert.

Wie geht ihr mit diesem Quoten-Thema um?

Wir nehmen diese Forderungen zur Kenntnis. Wir glauben nicht, dass man für dieses Thema eine Quote braucht und ja, auch wir sind für Gleichstellung. Grundsätzlich buchen wir die Künstler, welche in unserem Zeitraum verfügbar sind, vom Publikum gewünscht werden und auch bezahlbar sind. Wir hätten bspw. gerne für 2019 Lana del Rey verpflichtet. Leider übertraf die Gagenforderung unsere Möglichkeiten bei Weitem – sprich sie hätte 40% unseres gesamten Gagenbudgets beansprucht. Fact ist auch, dass das Marktverhältnis zw. weiblichen und männlichen Headliner-Acts bei ca. 1:5 steht. Über alle Jahre gesehen liegt Stars in Town über diesem Schnitt. Auf unserer 2. Bühne (Talent Stage) spielen zudem überdurchschnittlich viele weibliche Bands. Über das ganze Festival gesehen liegt unser Quotenschnitt über 40% (alle Bühnen miteingerechnet).

Nightwish auf Main Stage am Stars in Town fotografiert am Dienstag 07.08.2018.(Julius Hatt for Stars in Town)

Gibt es neben dem Künstler-Booking weitere Risiken für ein solches Festival?

Ein Festival in dieser Grösse zu veranstalten ist eine riesige Herausforderung, da viele Risiken nicht kalkulierbar sind. Es gibt das Risiko, dass ein Künstler ausfällt und ersetzt werden muss. Headliner sind fast nicht zu ersetzen. Hier ist man auf die Kulanz des Gastes angewiesen, welcher bei Programmänderungen das Festival trotzdem besucht. Das Wetter ist bei Openair-Veranstaltungen ein weitere Schlüsselfaktor. Schlechtes Wetter reduziert die Einnahmen im Food & Beverage. Unwetter, welche in den letzten Jahren vermehrt auftreten, können zu Festivalabbrüchen führen. Die Künstler-Gagen sind in diesem Fall trotzdem geschuldet. Man kann Schlechtwetter zwar versichern, die Kosten dafür sind aber unverhältnismässig hoch so dass die viele Veranstalter nicht versichert sind. Unfälle mit Helfern oder Gästen können bei allen Vorsichtsmassnahmen nie zu 100% ausgeschlossen werden. Ein Festival in dieser Grösse kostendeckend zu veranstalten ist eine Herkulesaufgabe. Ohne grosse Unterstützung von Sponsoren und der Stadt/Kanton (Standort- und Kulturförderung) liegt das Risiko viel zu hoch. Als Veranstalter muss man eine positive Grundhaltung haben, sonst ist man in diesem Business fehl am Platz.

In Anbetracht der Herausforderungen im Booking ist unser erklärtes Ziel das Gesamterlebnis des Festivals noch mehr zu schärfen und Stars in Town zu einem sogn. «Love Brand» werden zu lassen.

Adrian Brugger, Festivalleiter Stars in Town

Wie sieht die Weiterentwicklung von Stars in Town aus? Wo liegen die Chancen?

Stars in Town konnte sich in den letzten 10 Jahren einen guten Namen schaffen und gehört mittlerweile zu den relevantesten Populärfestivals der Schweiz. Durch Stars in Town gewann Schaffhausen sehr viel an Ausstrahlung. In Anbetracht der Herausforderungen im Booking ist unser erklärtes Ziel das Gesamterlebnis des Festivals noch mehr zu schärfen. Stars in Town wird zu einem sogn. «Love Brand». Neben der Livemusik machen zusätzliche Attraktionen (Food & Beverage, Dekorationen, Walkingacts, Strassenkünstler, Ambiente usw.) Stars in Town noch einzigartiger. Im Booking liegt der Fokus weiterhin auf stringente, in sich stimmige Abende und auch die Nachwuchsbühne wird weiter ausgebaut. Stars in Town will nicht nur Mainstream sein sondern auch Ecken und Kanten haben. Mit diesen Massnahmen glauben wir, dass uns die Treue unserer Besucher erhalten bleiben wird und Stars in Town dank unseren vielen freiwilligen Helfern weiterhin als eines der sympathischsten Festivals der Schweiz wahrgenommen wird.

Stars in Town Newsletter

Du möchtest alle Acts und Neuigkeiten zum Stars in Town 2024 als Erste*r erfahren? Wir halten dich mit unserem Newsletter über alle Festival-Infos up to date. Melde Dich jetzt an!